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Der Samichlais zieht durchs Dorf
Von Peter Steiner
Er ist Höhepunkt und Abschluss zugleich: der Samichlais-Uiszug (Auszug des St. Nikolaus) am Vorabend des Festes des St. Nikolaus, am 5. Dezember. Um 20 vor 8 abends erhebt der Zugführer den Leuchtstab und schwingt ihn von links nach rechts und auf und ab: Männer und – seltener – Frauen heben ihre schweren Triichlen (Treicheln) und halten ihren Schlag im Takt, ohrenbetäubend ist der Klang! Vom alten Spritzenhaus weg schreitet der Zug der Engelbergstrasse entlang und biegt dann in die Schmiedgasse ein, vorauseilend dunkle Gestalten: Tanndlischwingend fegen die Schmutzli den Weg frei, den Zuschauenden dann und wann ein Brämi (russiger Klecks) ins Gesicht drückend. Die Lichter sind gelöscht, Fackeln und Dotschen tauchen die Dezembernacht in einen mystisch-flackernden Schein.
Der ersten Gruppe – 200, 300, jedenfalls eine Riesenzahl – folgt die Vorhut mit dem von Eseln gezogenen Wägelchen, beladen mit Nüssen und Mandarinen, und eine Dreierschar Diener mit dem Goldenen Buch der guten und der anderen Taten. Und dann in einer Sänfte, hoch über den Köpfen, getragen von zehn ähnlich grossen Männern: der Samichlais, auf alle Seiten grüssend. Es ist sein Abschied vom Dorf, das er, wie alle Jahre, für ein paar Tage besucht hat. Ihm folgt jetzt die zweite Gruppe Triichler, so zahlreich wie die erste. Der Zug quert den Dorfplatz, umbiegt das Winkelried-Denkmal, begeht die Nägeligasse zum Alters- und Pflegeheim und macht hier … mal Pause.
Woher
Zeit also, zurückzublicken. Wer ist beziehungsweise war dieser Mann, der hier so lautstark gefeiert wird? Er sei im 3. Jahrhundert n. Chr. ein wohltätiger Bischof in Myra (heute Demre in der Türkei) gewesen, der Wunder bewirkt und vor allem ein Herz für die Kinder gehabt habe. Die Tradition machte ihn zum Schutzpatron zahlreicher Berufsgattungen und schliesslich zum Prototyp des Weihnachtsmannes. Seine Fama erstreckte sich nach und nach über ganz Europa, er wurde zum Heiligen erhoben und zahllose Kirchen wurden ihm geweiht. 1607 erklärten ihn die Fährleute von Stansstad zu ihrem Patron («Niklausenbrüder»), und sukzessive entwickelte sich besonders in der Innerschweiz um seine Verehrung ein vielfältiges Brauchtum.
Was war
In ihrem Buch Der Stanser Samichlais zeichnen Brigitt und Elsbeth Flüeler die Tradition in all ihren Facetten präzise nach. Schon für die ersten Jahrzehnte des 17. Jahrhunderts sind Adventsbräuche mit Triichlen, Hörnern und Stöcken aktenkundig. Im 19. Jahrhundert fand gelegentlich ein Samichlais-Umzug von Stansstad nach Stans statt, bei dem zwecks Erzeugung von Lärm offenbar auch geschossen wurde. Auf Drängen der Geistlichkeit wurde 1841 das Niklausen-Triichlen verboten, aber bereits 1856 inszenierte die kurz zuvor gegründete Frohsinngesellschaft einen St.-Niklausen-Umzug, «wie ihn Stans bisher wahrscheinlich noch nie gesehen und erlebt hatte» (Brigitt Flüeler). Er blieb vorläufig einmalig, denn Dauerhaftigkeit gewann er erst ab 1913 mit dem ersten Buebe-Triichle und einem Umzug der Gewerbeschüler: Sie führten den auf einem Wagen platzierten und von Zwärgli umgebenen Klaus durchs Dorf. Die Aktion stand jahrzehntelang unter der Regie von Gewerbelehrer Franz Wagner, dem aber die Jugend der 1960er-Jahre nach und nach entglitt. Immer weniger Burschen machten mit, und die Wenigen brachten sich immer öfter mit dem Konsum von Alkohol in Schwung.
Was kam
Dass Wagners Wagen an Würde verlor, gefiel dem damaligen Gemeindepräsidenten Bruno Leuthold nicht, und so ersann er zusammen mit Kollegen Ersatz. Im November 1968 riefen Die Organisatoren im Amtsblatt die Alternative aus: «… am 5. Dezember wird in Stans der Klausumzug durchgeführt. Er wird mit einem Volkstriicheln verbunden und in seinem Aufbau neu gestaltet.»
Das «Wie» oblag hauptsächlich der Textilgestalterin Sr. Augustina Flüeler, dem Glasmaler José de Nève und dem Kunstmaler Paul Stöckli. Die Begeisterung in der Bevölkerung für die neue Form war überwältigend: Rund 200 Personen meldeten sich als Triichler, Schmutzli, Geiggel und Dotschenträger. Und die Strassen waren gefüllt von Zuschauenden. 1972 übertrug die Gemeinde die Organisation des Uiszugs dem Feuerwehr-Verein, der die Aufgabe seither perfekt wahrnimmt.
Was auch ist
Uiszug (Auszug), nicht Umzug. Diese Nuance hat den Grund im Iizug (Einzug), der Ankunft des St. Nikolaus jeweils an einem Sonntag im späten November (dieses Jahr am 24.). Da bereitet sich der Chlais am Nachmittag oben im Stanserhornwald mit seinem Personal auf die Zeit im Dorf vor und lässt sich dabei zuschauen: Alle sind willkommen (der Zugang ist ab dem Rathausplatz ausgeschildert, ca. eine halbe Stunde Marschzeit)! Beim Einnachten steigt der heilige Mann dann, begleitet von jungen Fackelträgerinnen und Triichlern, über die Hueb und die Klostermatte zum Winkelried-Denkmal herab, wo er eine Ansprache hält. In den folgenden Tagen besucht Nikolaus all jene Familien, die sich bei ihm melden (Formular via www.samichlais-stans.ch oder www.pfarrei-stans.ch). Diesen Teil des Brauchtums pflegen die Mitglieder des Sankt-Nikolaus-Vereins. Und dann ist zwischendurch auch noch das Buebe-, oder jetzt: das Schüeler-Triichle. Denn die Schulleitung hat längst klar gemacht: Da sind auch die Mädchen dabei, und zwar obligatorisch. Die Lerngruppen bestimmen ihre «Beamten» autonom: Schmutzli, Geiggel, Tschifeler.
Am späteren Nachmittag des 26. November laufen die Gruppen sternförmig ins Dorf, wobei die Geiggel um einen Batzen bitten (so wie beim Uiszug) und die Tschifeler dankbar Gegenständliches in ihre Tschiferen (Hutten) packen. Der Tag klingt abends um 17.45 Uhr mit einem gemeinsamen Umzug durchs Dorf aus (Start und Ziel: Tellenmatt).
Wie's endet
Bald 21 Uhr ist es, die Pause vorbei: Der Zug am Ende der Nägeligasse bewegt sich weiter um den Schoggi-Kreisel in die Stansstaderstrasse, dann ums Telleneck zurück zum Finale vor dem alten Spritzenhaus – es entzieht sich der Beschreibung, erleben Sie es mit!
Zum Weiterlesen: Brigitt und Elsbeth Flüeler, Der Stanser Samichlais, 30 Franken, bei Bücher von Matt, Stans.