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Die wirklichen Stanser Älpler

27. August 2024
Im Herbst werden im Dorf die «Älper» gefeiert. Sie sind Mitglieder einer Bruderschaft und haben mit dem Beruf des Älplers meist nichts zu tun. Doch echte Älpler gibt’s auch in Stans, oben am Stanserhorn: im Chalcherli, in der Bluematt, auf der Rinderalp. Wir haben sie besucht.

Von Peter Steiner

Älpler
Im Uhrzeigersinn: Franz Niederberger (oben links), Kari Scheuber, Bruno und Monika Durrer, Sepp Odermatt. 

Vom Dorf her leicht ersichtlich ist das Chalcherli. Rundum vom Bergwald umstanden, ist die Alp mit einer Waldstrasse erschlossen und so auch innert nützlicher Frist erreichbar. «Die Alp ist gut gräsig und apert im Frühjahr zeitig aus», sagt Sepp Odermatt, der die Alp kennt wie den eigenen Hosensack. Wen wundert's, hat Sepp doch schon als «Schuelerbueb» seinen Vater auf die Alp begleitet. Denn Odermatts haben das Chalcherli seit 1967 von der Genossenkorporation Stans gepachtet. Sie selbst besassen bzw. besitzen im Tal keinen eigenen Hof, nehmen aber seit jeher fremdes Vieh «in Pension». «So rund 20 Rinder sind es, mit welchen ich gegen Ende Mai z'Alp fahre», berichtet Sepp, der hauptberuflich bis letzten Dezember als Zimmermann gearbeitet hat: «Bis damals bin ich jeweils nach der Arbeit hochgefahren, um nach den Tieren zu schauen, jetzt bleibe ich oft auch über Nacht oben in der Hütte.»

Mehr als 300 Hagschiije

Ein Zeichen, dass er sich auf der Alp aufhält, ist die aufgezogene Schweizerfahne am Mast links der Hütte. Setzt sich der Wanderer an den Tisch im Freien, ist Sepp einem Gespräch nicht abgeneigt. Er hat Stans bestens im Blick und wundert sich, wie sich das Dorf in wenigen Jahrzehnten massiv ausgebreitet hat. Doch wir kehren zurück zum Thema Alpwirtschaft. Es fällt auf, wie die stark geneigte Fläche seiner Alp mehrfach unterteilt ist – «mehr als 300 Hag schiije» (Zaunpfosten) schlägt Sepp Jahr für Jahr in exaktem Abstand in den Boden, um die Alp in Weidezonen zu unterteilen: «Die Rotation mit zwei Gruppen von acht bis zehn Tieren sichert die beste Nutzung der Futterbasis, die auf der Alp gleichzeitig heranwächst», erklärt der erfahrene Älpler.

Milch und Käse

Einen guten Kilometer westlich vom Chalcherli ist ersichtlich die Neuzeit angebrochen. Die junge Bauernfamilie Bruno und Monika Durrer hat nach dem tragischen Tod ihres Onkels Willi Kathriner die Bluematt übernommen und mit der Sanierung der in die Jahre gekommenen Gebäude begonnen. Am auffälligsten ist das neue Stallgebäude, das mit seiner offenen Anlage die Tierschutzvorschriften optimal erfüllt und mit dem Melkstand das Melken sehr erleichtert: «Noch nie im Leben habe ich so bequem gemolken», zeigt sich der 77-jährige Vater Paul Durrer begeistert, der mit seiner Frau Bernadette hier die Stellung hält. Durrers zügeln jeweils sämtliche Milchkühe, Rinder und Kälber sowie sechs Geissen von ihrem Kernser Heimen Ledi auf die Bluematt. Für Bruno und Monika ist Pendeln angesagt, ihre Kinder besuchen in Kerns die Schule, und die beiden bringen «daheim» die Heuernte ein: Futter für die Tiere im Winter. Um die 400 Liter Milch nimmt Bruno in den ersten Alpmonaten täglich mit ins Tal, jetzt wird sie oben im Kessi über dem Feuer zu Käse verarbeitet.

Über dem «Chatzeloch»

Durrers Alp zieht sich beidseits des alten Bahntrassees über die Baumgrenze hoch (rechts davon ist Ennetmooser Gemeindegebiet), umfasst aber auch das «Chatzeloch», in welches sich im «Uistage» (Frühjahr) jeweils die «Planggen» mit Lawinen vom Schnee entladen. Darüber thront die Rinderalp, die mit 23 ha Weide und Wald etwa einen Drittel so gross ist wie die Bluematt. Sie gehört seit 1970 Angehörigen des legendären «Portlers Friedel», konkret jetzt Mario Odermatt, der sie an Franz Niederberger verpachtet hat. Franz, Landwirt auf dem Heimen Vorder Hostetten in Oberdorf, hat auch das «Blatti» auf dem Bergrücken oberhalb des Chalcherli in Pacht. Franz fährt ausschliesslich mit Rindern hoch und teilt den Nutzen der beiden Alpen mit dem Schafbauern Kari Scheuber: «Teile der beiden Alpen sind so steil, dass sie sich mit Rindern nicht beweiden lassen, aber für die leichteren Schafe ideal sind», begründet Franz die Kooperation. Und auch Kari, seit Jahrzehnten in der Zucht des «Weissen Alpenschafes» engagiert, ist glücklich, rund 80 Tiere quasi «vor der Haustür» (er wohnt in Stansstad) alpen zu können. So starten die beiden Älpler den Alpsommer auf dem Stanserhorn jeweils «links aussen», ziehen dann über den Grat westwärts zur Rinderalp und im Herbst zurück.

Wasser ist unabdingbar

Was Stanserinnen und Stanser wissen: Auf der Nordseite des Stanserhorns sind im Sommer Wasser führende Bäche kaum vorhanden – das Wasser fliesst in Folge der speziellen Geologie des Berges unterirdisch ab. Da das Nass für die Alptiere indes unabdingbar ist, sind die Älpler in der Sicherung ausreichender Tränkung mächtig gefordert. Basis dafür ist überall das Sammeln von Regenwasser ab den Dächern. Bruno Durrer, der mit den Milchkühen einen besonders hohen Bedarf ausweist, hat mittlerweile ein ausgeklügeltes Sammelsystem erstellt und jede Tränke mit Zuflussreglern versehen: «Mit einer Reserve von 170'000 Litern sind wir jetzt grundsätzlich gut ausgestattet, aber dennoch: Verlieren wollen wir keinen Tropfen.» Dem diesjährigen, überaus nassen Frühsommer zum Trotz erinnert sich Kari Scheuber, wie er im heissen Sommer 2018 in 40-Liter-Kannen Wasser mit der Bahn aufs Horn transportiert hat, um sie von der Bergstation runter zur Alp zu «garettlen». «Z'Alp» sein ist nicht «Fun» – das ist harte Arbeit!

Keine Angst vor dem Wolf

Wenn vom Alpen die Rede ist, fehlt die Frage nach dem Wolf selbstverständlich nicht. Keiner der Älpler am Stanserhorn zeigt sich wegen ihm verängstigt. Über den Berg ist er, wenigstens nach ihrer Beobachtung, auch noch nie gestrichen, und die grossen Tiere, die Kühe und Rinder, sind eh nicht seine bevorzugten Jagdobjekte. Scheubers Schafe hingegen sind schon eher auf dem Speiseplan des Raubtiers, doch Kari winkt ab und berichtet von einer anderen Erfahrung: «Vor Jahren hat mir ein Luchs zwei Jungtiere von der Herde weggetrieben, die ich erst Mitte Oktober wieder einfangen konnte.» Diese Geschichte ist letzten Endes gut ausgegangen, ganz im Gegensatz zu einer andern: Ein einziger Blitz hat ihm auf einen Schlag 24 Tiere weggerissen. «Es ist die Natur, die hier oben das Sagen hat», stellt Franz Niederberger abgeklärt fest, und es ist spürbar, dass er deswegen nicht weniger glücklich ist.